Liam Neeson goes Clint Eastwood. Waren seine Actionfilme bislang meist eher temporeich angelegt, so tritt er hier ordentlich auf die Bremse und spielt den alternden, von seinem Land vergessenen Kriegshelden. Nach dem Ableben seiner Frau bleibt ihm nur noch seine kleine Farm, die er ebenfalls an die Banken zu verlieren droht. Als er mitansehen muss, wie ein paar böse Kartellbuben die Mami eines kleinen mexikanischen Flüchtlingsjungen umpusten, begibt er sich mit dem Waisen auf einen Roadtrip, um das Leben des Kindes zu retten. Natürlich muss er dafür erneut zur Knarre greifen und zeigen, was er noch drauf hat. Klingt wie ein Hybrid aus Perfect World und Gran Torino? Nun, dass ist wenig verwunderlich, führte doch Robert Lorenz die Regie. Der war jahrelang Assi vom Meister Ostholz und versucht offensichtlich nun, in dessen Fußstapfen zu treten. Ob es ihm mit diesem, von LEONINE STUDIOS veröffentlichten, Actiondrama gelungen ist oder ob sein Schuhwerk zu klein ist, könnt Ihr nun nachlesen. Go ahead, Liam, make my day.

Originaltitel: The Marksman

Regie: Robert Lorenz

Darsteller: Liam Neeson, Jacob Perez, Juan Pablo Raba, Katherine Winnick, Teresa Ruiz

Artikel von Christian Jürs

Der Farmer Jim Hanson (Liam Neeson) hat schon bessere Tage gesehen. Einst ein mit einem Orden ausgezeichneter Kriegsheld, der in Vietnam als (titelgebener) Scharfschütze für sein Land kämpfte, steht er nun, nach dem Ableben seiner Frau, vor dem finanziellen Aus. Seine Farm im trockenen Arizona wirft keinen Gewinn mehr ab, weswegen die Banken ihm den Hahn zudrehen. Seine letzte, abgemergelte Rinderherde bringt nicht genug Geld ein, um die fälligen Schulden zu begleichen. Da sich sein Besitz zudem direkt an der Grenze zu Mexiko befindet, streunen des Öfteren illegale Einwanderer durch seinen Besitz, die er stets umgehend seiner für die Behörden arbeitende Tochter Sarah Pennington (Katherine Winnick) meldet.

Als eines Tages erneut eine Frau und ihr Sohn durch ein Loch im Grenzzaun ins gelobte, amerikanische Land flüchten, zögert Jim mit seiner Meldung, als plötzlich eine Gruppe Kartellkiller hinter den verzweifelten Flüchtlingen auftaucht. Angeführt von Maurico (Juan Pablo Raba), fordern die Männer die Herausgabe von Mutter und Kind, was Jim jedoch ablehnt. Als die Männer das Feuer eröffnen, streckt der ehemalige Scharfschütze einen der Killer mit einem gezielten Schuß nieder und flieht mit den beiden Flüchtlingen im Pick Up. Rosa (Teresa Ruiz), die Mutter des Jungen, erlitt bei dem Feuergefecht jedoch einen Bauchschuss und verstirbt kurz darauf. Vor ihrem Ableben bittet sie den Farmer, ihren Sohn Miguel (Jacob Perez) sicher zu seinen Verwandten nach Chicago zu bringen. Doch Jim denkt gar nicht daran und übergibt das Waisenkind direkt an die Behörden, damit diese den Jungen weitervermitteln. Die jedoch sehen dafür keine Veranlassung und wollen Miguel wieder zurück nach Mexiko abschieben. Als Jim die Tasche der Mutter, gefüllt mit mehreren Geldbündeln, erblickt, ist er sicher, dass eine Rückkehr in die Heimat für den Jungen den sicheren Tod bedeuten würde. Also fasst sich Farmer Jim ein Herz und flieht mit dem Sprössling in seinem Pick Up in Richtung Chicago. Die Killer bleiben ihnen dabei dicht auf den Fersen…

Eigentlich wollte Liam Neeson längst die Waffe and den Nagel gehängt haben und sich ausschließlich dem Charakterfach widmen, doch irgendwie lässt ihn sein Taken – Image nicht mehr los. Und so greift er in drei von vier hierzulande im Jahr 2021 erscheinenden Titeln mal wieder zur Waffe. Den Anfang machte Honest Thief, der coronabedingt, ebenso wie dieser Streifen, direkt im Heimkinomarkt erscheint. Einzig der von Jonathan Hensleigh (The Punisher) inszenierte The Ice Road wird vorraussichtlich im Oktober in den Lichtspielhäusern gastieren, obwohl er bereits im Sommer für einen Netflix-Start geplant war. Immerhin konnte Neeson in Made in Italy – Auf die Liebe! in einem ruhigen, mit einer FSK 6 Freigabe bedachten, Vater-Sohn-Drama etwas Abwechslung in seine Rollenwahl bringen. Dieses Bemühen blieb allerdings weitestgehend unbemerkt, weswegen die nächsten Actiontfilme bereits angekündigt wurden.

Mit seinem Charakter im letztgenannten Film hat Jim Hanson gemein, dass die Frau des Hauptcharakters mittlerweile verschieden ist, was ihn in einen traurigen, melancholischen Menschen verwandelt hat. Etwas, dass Liam Neeson mit Sicherheit auch heute noch bestens nachvollziehen kann, da seine große Liebe, Natasha Richardson, mit der er viele Jahre liiert war und die gemeinsam zwei Kinder hatten, bei einem Skiunfall im Jahr 2009 ein für sie tödliches Hematom davontrug. Die Schauspielerin (Nell) wurde gerade einmal 45 Jahre alt. Seither stürzte sich Neeson, der gerade erst zum Actionstar avancierte, in eine Produktion nach der Nächsten, um den Schmerz so gut es geht vergessen zu machen. Die Traurigkeit in seinen Augen sieht man ihm seither allerdings deutlich an. Und genau diese Melancholie ist es, die der Schauspieler hier äußerst passend an den Tag bringt, denn auch Jim hat den Tod seiner Frau nicht gut weggesteckt. Doch der gerade vom Kind zum Jugendlichen heranwachsende Miguel ist es, der neuen Sinn in das Leben des altersmüden Farmers bringt, wobei man sich anfangs noch auf Distanz hält. Natürlich bricht das Eis nach und nach auf dem Roadtrip, auf dem sich der alte- und der junge Mann langsam annähern. Etwas, dass nicht von ungefähr an Clint Eastwoods ebenfalls als Roadmovie angelegtes Drama Perfect World erinnert. Darin entführt der, eigentlich gutherzige, Ausbrecher Butch, gespielt von Kevin Costner, einen kleinen Jungen, der auf der Flucht das Abenteuer seines Lebens erlebt. Ein Thema, dass so ähnlich des Öfteren in der Filmographie von Clint Eastwood vorzufinden ist. Honkeytonk Man, Million Dollar Baby und Gran Torino sind weitere Beispiele ähnlicher, zwischenmenschlicher Beziehungen, die langsam aufkeimen. Regisseur Robert Lorenz muss diese Geschichten geliebt haben, war er doch Regieassistent beim erwähnten Boxdrama, aber auch beim äußerst erfolgreichen American Sniper. Hier tritt er, nachdem er in seinem Regiedebut Back in the Game – Trouble with the Curve Unterstützung vor der Kamera von seinem Vorbild erhielt, in Punkto Geschichte und Erzählweise in die Fußstapfen seines Mentors, ohne allerdings dessen Qualitäten zu erreichen.

Nicht falsch verstehen, die Idee hinter The Marksman – Der Scharfschütze ist gut, hat Potential und Liam Neeson überzeugt als knarziger und doch sympathischer Haudegen, der nochmal in Aktion treten muss. Die Geschichte bleibt jedoch vorhersehbar und die wenige Action ist mau. Geschuldet ist dies vor allem der PG-13 Freigabe, die den Schüssen des Scharfschützen jegliche Wucht rauben. Nicht falsch verstehen, ich habe hier keine Gewaltorgie wie im ähnlich erzählten Comicabgesang Logan erwartet, doch wenn die Kartellgangster, die vom Scharfschützengewehr getroffen wurden, einfach nur umkippen, ohne sichtbaren Einschuss, dann hat das Etwas vom Tontaubenschießen auf dem Jahrmarkt. Warum man sich für die niedrige Freigabe entschied, bleibt außerdem fraglich, da jüngere Zuschauer sich bei der ruhig-melancholisch erzählten Geschichte eh langweilen dürften. Ein weiterer Schwachpunkt ist die Chemie zwischen dem Hauptdarsteller und Jacob Perez, die quasi nicht vorhanden ist. Der Junge bleibt leider blass. Da hilft es auch nicht, dass die Jungs sich ausgerechnet, während einer Verschnaufpause, Clint Eastwoods Klassiker Hängt ihn höher anschauen, da dadurch nur Assoziationen zu besseren Werken geweckt werden.

Immerhin ist der Film in schöne Bilder gepackt und kann hier und da auf der zwischenmenschlichen Ebene punkten. Etwa in der Szene, als Rosa im Sterben liegt und ihrem Jungen das Basecap vom Kopf zieht, um ihm ein letztes Mal liebevoll über die Wange zu streichen. Hier ahnt man, wie stark The Marksman – Der Scharfschütze hätte sein können. Doch diese Momente sind rar gesäht und hieven den Film nur knapp über Mittelmaß hinaus. Das Ende kommt ebenfalls wenig überraschend, hier hatte der gute Clint meist ein besseres Händchen.

Qualitativ bietet die Veröffentlichung seitens Leonine Studios aber weit mehr als nur Mittelmaß. Uns lag zwar lediglich die DVD-Variante zur Sichtung vor, doch auch die besticht durch gute Bild- und Tonqualität. Im Bonusbereich der physischen Veröffentlichung befindet sich ein Making Of und ein Interview mit dem Hauptdarsteller.

Zurück zur Startseite